Auf den Spuren der Jesuiten…

Nachdem ich inzwischen bereits mehrfach nach einem Bericht über meinen letzten Ausflug gefragt wurde, habe ich ihn nun endlich fertig gestellt. Wie immer in voller Pracht und Länge, damit zu Hause auch so richtig schön Neid über meine schönen Ausflüge aufkommt ;-)…

Da der erste Mai auch hier in Brasilien ein Feiertag war und dieses Jahr auf einen Dienstag fiel, habe ich das verlängerte Wochenende natürlich wieder mal für eine Tour genutzt. Dieses Mal ging es in das etwa 700 km entferne Santo Ângelo in Rio Grande do Sul. Mein Kollege Zarko wollte mich nicht begleiten und so brach ich am Donnerstag (26.04.) direkt nach der Arbeit auf. Die Busfahrt nahm mit etwa 14 Stunden die ganze Nacht in Anspruch, die ich jedoch größten Teils verschlief. Im Vergleich zu unserer letzten Busfahrt von Porto Alegre zurück nach Floripa in der Leito-Klasse war es diesmal hinsichtlich des Komforts ein deutlicher Rückschritt ;-). Während meiner großen Reise im Juli/August sollte ich wohl nicht allzu oft im Leito reisen, da man sich bekanntlich schnell an Komfort gewöhnt und dann nicht mehr mit den bereits ausreichend komfortablen Executivos zufrieden ist…

Nachdem ich fast die ganze Fahrt verschlafen hatte (da es ja Nacht war hätte man sowieso nichts gesehen), bekam ich auf der letzten Etappe von Ijuí nach Santo Ângelo noch ein wenig etwas von der Landschaft mit. Wir fuhren durch vollkomen ländliches (Gaúcho-)Gebiet, das sehr ähnlich wirkte wie unser Allgäu – nur deutlich flacher. Santo Ângelo erreichten wir schließlich am Freitag gegen 9:30 Uhr und da ich dieses Mal keinerlei Reservierungen gemacht hatte, schaute ich mich zu allererst nach einer Bleibe für die nächste Nacht um. Nach ein wenig Herumfragen hatte ich auch schnell ein Hotel direkt hinter der Rodoviária gefunden, das zwar sicherlich nicht das beste der Stadt war, mit 30 R$ pro Nacht preislich aber vollkommen im Rahmen lag. Und für eine oder zwei Nächte stellte ich sowieso keine großen Ansprüche.

Nachdem ich eingecheckt hatte und mich nach einer Dusche wieder wie ein neuer Mensch fühlte, machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Zunächst wollte ich in einem Tourismus-Büro weitere Infos über die Sehenswürdigkeiten der Stadt einholen. Mein Reiseführer führte zwar ein paar interessante Plätze und Gebäude auf, Details dazu bot er allerdings nur wenige. Ich hatte mir bisher nur vorgenommen, am nächsten oder übernächten Tag nach São Miguel – der heutigen “Hauptstadt” der Ruinen (s.u.) – weiterzufahren, hatte darüber hinaus aber noch keine weiteren Pläne geschmiedet. Die Suche nach einer Informationsquelle gestaltete sich aufwändiger als gedacht, da sich das Tourismus-Büro schlicht und einfach nicht (mehr) an der in der Karte eingezeichneten Stelle befand und die Einheimischen ebenfalls nicht so recht wussten, wo ich so etwas finden könnte. Nach einiger Zeit und einigen Kilometern Fußmarsch quer durch die Stadt wurde ich aber im “Centro da Cultura Missioneira” fündig und bekam auch einige interessante Informationen über São Miguel und Santo Ângelo selbst. Diese ging ich dann erstmal bei einem kleinen Frühstück durch und fing an ein paar Pläne zu machen.

Santo Ângelo liegt im Nordwesten von Rio Grande do Sul etwa 700 km von Florianópolis entfernt. Das Gebiet ist unter dem Namen “Missões Jesuíticas dos Guaranis” bekannt und beherbert die “Sete Povos das Missões”, sieben Orte, an denen die Jesuiten zwischen 1609 und 1773 sogenannte Reduktionen zur Missionierung der Ureinwohner (der Guarani) errichteten. Weitere Reduktionen lagen im heutigen Paraguay und in der argentinischen Provinz Misiones, wobei das Gebiet der “Sete Povos das Missões” bis 1750 ebenfalls unter spanischer Herrschaft stand. In den Reduktionen verwirklichten die Jesuiten ein erstaunliches Sozialexperiment, indem sie dort über 150 Jahre in Frieden mit den Guarani zusammen lebten. Immer wieder hatten sie allerdings mit Angriffen der Bandeirantes zu kämpfen (Bandenmitglieder portugiesischer Expeditionstrupps), die von São Paulo aus nach Westen vordrangen und das Einflussgebiet Portugals gegen die spanische Konkurrenz möglichst weit nach Westen vergrößern sollten. Mit dem Vertrag, mit dem 1750 das Gebiet der “Sete Povos das Missões” Portugal zugesprochen wurde, sollten auch 30.000 Guarani umgesiedelt werden. Als diese sich weigerten kam es 1754 zum Guarani-Kreig, den 1756 ein spanisch-portugiesisches Heer in der Schlacht von Caibaté beendete. 1773 schloss sich Papst Clemens XIV dem bereits 1767 vom spanischen König Karl III erlassenen Verbot des Jesuiten-Ordens an und läutete damit das Ende des Jesuiten-Ordens in seiner bisherigen Form ein. Das Schicksal der Guarani wurde schließlich mit dem Paraguay-Krieg 1864 bis 1870 gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay besiegelt.

Heute können alle 7 ehemaligen Reduktionsorte der “Sete Povos das Missões” besichtigt werden, an denen überall mehr oder weniger gut erhaltene Ruinen zu sehen sind. Da die Orte jedoch recht weit auseinander liegen (größe Entfernung über 200 km) und ich kein Auto zur Verfügung hatte, hatte ich mich entschieden, nur Santo Ângelo (die ehemalige Hauptstadt) und São Miguel mit den am besten erhaltenen Ruinen zu besuchen.

Nach dem Frühstück machte ich mich auf, die Sehenswürdigkeiten von Santo Ângelo zu besichtigen. Da war zum einen der alte Bahnhof, in dem heute zwei kleine Museen untergebracht sind. Das eine mit ein paar alten Geräten aus der Blütezeit der brasilianischen Eisenbahnen und das andere mit Gegenständen, Fotografien, Karten und Dokumenten rund um den Revolutionsführer Luiz Carlos Prestes, der von 1922 bis 1927 mit 1500 Mann einen unglaublichen Marathonmarsch von über 25.000 Kilometern von Rio Grande do Sul bis weit in den Nordosten Brasiliens unternommen hatte. Wie die meisten brasilianischen Museen bisher waren diese beiden ebenfalls nichts wirklich besonderes.

Anschließend wollte ich die in meinem Reiseführer als sehenswert bezeichnete Jesuiten-Kathedrale besichtigen. Sie ist ein Nachbau der Kathedrale von São Miguel und wirkte zu meinem großen Erstaunen wie praktisch gerade erst neu gebaut. Der gesamte Platz vor der Kathedrale war noch (oder wieder) eine Baustelle und eine so “neue” Kirche in “altem Stil” hatte ich bisher noch nicht gesehen. Für uns Europäer mit unseren hunderten von Jahren alten Kirchen und Gebäuden ist es eben manchmal schwer nachvollziehbar, wie “jung” die “alten Gebäude” in den ehemaligen Kolonialstaaten wie Brasilien sind. Wegen der laufenden Bau- bzw. Renovierungsarbeiten konnte man die Kathedrale leider nicht von innen besichtigen, was mich wegen der angeblich beeindruckenden Holzschnitzerei guaranischer Künstler sehr interessiert hätte. Aber immerhin konnte ich einige sehr schöne Fotos der Kathedrale selbst machen!

Wegen Umbauarbeiten an den Wasserbecken auf der Praça fehlten leider auch die in meinem Reiseführer angekündigten Kaimane und nach einem kurzen Mittagessen stelle ich dann fest, dass auch das “Museu Municipal Doutor José Olavo Machado” wegen Renovierung geschlossen hatte. Die Möglichkeiten, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen schienen also sehr eingeschränkt zu sein. Daher zog ich weiter zu einem Monument, das von Oscar Niemeyer entworfen wurde. Der Marsch dorthin, der sich länger hinzog als ich gedacht hatte, war das “Kunstwerk” aber kaum wert. Dafür bin ich aber noch in anderen Teilen der Stadt gewesen, in die ich ansonsten wohl kaum gekommen wäre.

Insgesamt bot Santo Ângelo weniger als ich aufgrund der Angaben in meinem Reiseführer und auf verschiedenen Webseiten angenommen hatte und deshalb entschloss ich mich, gleich am nächsten Morgen nach São Miguel weiter zu fahren.

Zum Abendessen kehrte ich noch in ein einfaches Restaurant ein und erlebte auf dem Rückweg zu meinem Hotel dann eine Premiere: Ich fror zum ersten Mal seit ich im November letzten Jahres in Brasilien angekommen war. Ein Kollege bei Módula hatte mich bereits vorgewarnt, dass es in Rio Grande do Sul bereits zu dieser Jahreszeit empfindlich kühl sein kann. Diese Warnungen hatte ich aber weitestgehend als übertrieben in den Wind geschlagen und deshalb nur eine dünne Jacke dabei. Jedenfalls freute ich mich riesig auf mein Bett im Hotel, in das ich mich dann auch gleich nach meiner Ankunft tief vergrub. Vielleicht war ich einfach nichts mehr gewohnt, jedenfalls war es für meinen Geschmack wirklich viel zu kalt.

Am nächsten Morgen ging es um 10:00 Uhr weiter nach São Miguel, das wir nach etwa 1,5 Stunden Busfahrt erreichten. Die Ortschaft wirkte bereits bei unserer Ankunft ziemlich verlassen und verschlafen, was sich auch während des ganzen Wochenendes nicht groß veränderte. Ich suchte zunächst die Jugendherberge auf, die ich von Santo Ângelo aus kontaktiert hatte und machte mich anschließend auf den Weg, um ein wenig die Ortschaft zu erkunden. Der Zutritt zu den Ruinen war erst wieder am Nachmittag möglich, so dass ich dafür genug Zeit hatte. Viel zu sehen gab es hier allerdings auch nicht, wobei die Ortschaft an sich mir ihrer ländlichen Umgebung einfach irgendwie idyllisch wirkte. Nicht, dass ich dort allerdings leben wollte – das wäre ja noch weiter in der Pampa als in meiner Heimat auf der Alb ;-)…

Nach einem Mittagessen besichtigte ich dann die Redunktions-Ruinen, die wirklich beeindruckend wirkten und aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung sehr interessant waren. In der alten Sakristei wurde mir zusammen mit ein paar anderen Besuchern ein Film über ihre Errichtung, Blütezeit und ihren Niedergang gezeigt, der allerdings leider nur in portugiesisch vertont war, so dass ich bei weitem nicht alles verstand. Anschließend besichtigte ich noch das kleine Museum, das vor allem religiöse Kunstwerke der Guarani ausstellte und kehrte dann zur Jugendherberge zurück. Bis zur Sound-und-Licht-Veranstaltung “Som e Luz” am Abend brachte ich noch ein paar Stunden mit relaxen zu und unterhielt mich bei Chimarrão mit zwei anderen Gästen, die ebenfalls auf Tour durch die Missionsorte waren.

Die Veranstaltung “Som e Luz” war wirklich gut gemacht und inhaltlich sicherlich auch sehr interessant, wobei ich auch hier nur einen Bruchteil der Erzählungen verstand. Mein Portugiesisch reichte für den Dialekt einfach nicht aus und die Tonqualität war zu schlecht. Trotzdem war es eine lohnenswerte Show, die ich eben hauptsächlich visuell erlebte ;-)… Allerdings war ich dann auch froh als die Show vorbei war und ich zurück in der Jugendherberge war – es war nämlich wieder bärig-kalt!!!

Damit hatte ich eigentlich alles gesehen, was es in São Miguel zu sehen gab und aus diesem Grund hatte ich mich für Sonntag auf einer nahe gelegenen Fazenda (= Farm) angemeldet. Dort konnte man laut der Infos vom Tourismus-Büro “Turismo rural” (also Tourismus auf dem Lande) erleben. Am Sonntag Morgen machte ich mich also auf den Weg dorthin und wurde gleich herzlich empfangen. Zusammen mit dem Sohn des Fazenda-Besitzers unternahmen ich dann erstmal einen kleinen Ausritt (ja so richtig zu Pferd *g*), wobei in meinem Fall die Frage gerechtfertigt war, wer die Richtung bestimmte: Ich oder das Pferd ;-)… Aber ich wurde besser und nach ein paar Minuten hatte ich gewisse Drehs raus, die mich zumindest einigermaßen in die Lage versetzten, Richtung und Geschwindigkeit zu bestimmen. Trotzdem beschleunigte mein Pferd dauernd, wenn es in Richtung Stall ging und blieb stehen, wenn wir uns davon abwandten. Trotzdem machte es sehr viel Spass und ich genoss dieses kleine Abenteuer…

Als wir nach einiger Zeit zur Fazenda zurück kehrten, hatten einige Kühe Reißaus genommen und so hatte ich die Gelegenheit, mich als Cowboy (oder besser als Gaúcho) zu versuchen (siehe Fotos). Auch das scheiterte zwar ein wenig an meinen sehr eingeschränkten Reitkünsten, trotzdem schafften wir es aber, die Kühe zurück auf die Weide zu treiben und beendeten unseren Ausritt ohne Zwischenfälle.

Anschließend spielte ich eine Weile mit den drei Hunden, was mich unseren Allan sehr vermissen ließ, und genoss echten Chimarrão. Zum Mittagessen waren zwei weitere Gäste eingetroffen und es gab natürlich ein richtiges Gaúcho-Churrasco mit Live-Musik. Ich hielt mich nach dem Essen noch eine Weile auf der Fazenda auf und machte mich dann auf den Rückweg zur Jugendherberge.

Dort angekommen hatte ich erstmal mit meinen vom Ausritt ziemlich dreckigen Kleidern zu kämpfen. Da ich nicht mit so kalten Temperaturen gerechnet und deshalb nur eine lange Hose dabei hatte, musste ich diese notdürftig waschen und so schnell wie möglich trocken bekommen. Aber ich wäre nicht in Brasilien, wenn mir nicht auch dafür etwas eingefallen wäre…

Am Abend besuchte ich dann noch ein kleines Dorf-Fest, das allerdings von der ganzen Atmosphäre noch “kleinbürgerlicher” war als die alljährliche Hockete in Sonnenbühl und mich deshalb nicht lange begeistern konnte. Vor allem aufgrund der unangenehmen Temperaturen ging ich dann wie bereits am Vorabend sehr früh ins Bett und informierte mich in meinem Reiseführer über die Sehenswürdigkeiten in Rio de Janeiro, das ich Anfang Juni als nächstes besuchen werde…

Nach einer weiteren Nacht in São Miguel war es dann am Montag Morgen auch schon bald wieder Zeit für die Rückfahrt nach Santo Ângelo. Die Busverbindungen waren leider so schlecht, dass ich dort noch einen halben Tag bis zur Abfahrt meines Busses nach Florianópolis zubringen musste. Also wanderte ich noch einmal ein wenig durch die Stadt und schlug ansonsten die Zeit mit Lesen im Reiseführer tot. Gegen 18:30 Uhr verließ ich Santo Ângelo dann in Richtung Florianópolis, wo ich am nächsten Morgen gegen 9:30 Uhr ankam.

Insgesamt war es mal wieder ein sehr schöner Ausflug gewesen, wenn ich auch gerne ein Auto zur Verfügung gehabt hätte, um weitere Missionsorte besuchen und so die Zeit besser nutzen zu können. Die Entfernungen in Brasilien und die benötigte Zeit für deren Bewältigung sind für uns Europäer eben immer wieder leicht zu unterschätzende Faktoren in der Reiseplanung…

Arbeit, Wohnung und Sonstiges… (Teil 1)

Nachdem inzwischen fast ein Monat seit meinem letzten veröffentlichten Bericht verstrichen ist, greife ich heute mal einen Hinweis auf, den ich vor einiger Zeit bekommen habe. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich zwar immer über meine Trips berichte, mich über meine Arbeit und mein tägliches Leben hier in Floripa unter der Woche allerdings ausschweige. Tja, das liegt vielleicht daran, dass die Trips natürlich das spannendste an meinem Aufenthalt hier sind. Trotzdem werde ich den Hinweis berücksichtigen und mit diesem und weiteren Berichten jetzt einmal für ein wenig Ausgleich sorgen… Aber Achtung: Für Nicht-Informatiker kann vor allem dieser Bericht ein wenig unverständlich und daher vielleicht langweilig sein. Ich werde mich aber bemühen, die Fachsprache auf ein Minimum zu reduzieren, so dass jeder ungefähr erfassen kann, mit was ich mich hier die Woche über beschäftige.

Seit Mitte April ist die Arbeit wieder deutlich besser als in den Wochen zuvor und macht jetzt wieder richtig Spass. Aber zunächst einmal eine Übersicht und ein Rückblick: Im Wesentlichen arbeite ich am oder für unser Hauptprojekt Sigilowin. Insgesamt haben wir im Moment 3 größere Projekte, von denen eines (“Functional Testing” Tool) nur für den internen Gebraucht gedacht ist. Sigilowin, das größte der 3 Projekte, ist die neue Windows-Version der alten DOS-Software, mit der Módula Software vor ca. 15 Jahren angefangen hat. Es ist ein System zur Verwaltung finanzieller Transaktionen im professionellen Bereich, also nach den “offiziellen” Methoden des “Financial Accounting”. Natürlich besitzt es viele weitere Funktionen zur Verwaltung der Angestellten einer Firma, deren Produkte usw… Die DOS-Version ist bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz und natürlich ist eine Windows-Variante schon lange überfällig. Wirklich im Einsatz ist sie jedoch noch nicht – abgesehen von einer Testumgebung und dem AIESEC MC Brasilien, das seit ein paar Wochen ein erstes Release für seine Zwecke verwendet.

MODPosto ist das zweite große Projekt der Firma und ein System für Tankstellen. Direkt von der Zapfsäule erhält das System die notwendigen Daten über die abgegebene Menge Treibstoff und erstellt die entsprechende Abrechnung für den Kunden. Außerdem sperrt es die Zapfsäule bis die Zahlung erfolgt ist und legt die Daten in einer Datenbank ab. Dieses System soll eventuell später mit Sigilowin verbunden werden, so dass über ein einfaches Frontend an der Kasse der Tankstelle die Daten eingespeist und für die Finanzbuchhaltung später abrufbar sind.

Alle diese Projekte sind Client-/Server-Architekturen, wobei Sigilowin standardmäßig als eine 3-Tier-Anwendung, MODPosto derzeit als eine 2-Tier-Anwendung entwickelt wird. Als Datenbank kommt für Sigilowin PostgreSQL und für MODPosto SQLite3 zum Einsatz.

Die zentrale Schnittstelle zwischen Anwendung und Datenbank ist DataEntity, eine Entwicklung unseres Chefs Thiago. Diese Library hat in der Tat ein sehr gutes Design und ist bis auf wenige Stellen und Workarounds (die es in der Praxis wohl immer geben wird) auch recht gut strukturiert. Leider fehlt es ein wenig an Dokumentation, die Thiago im Rahmen seines Verständnisses der “Agilen Softwareentwicklung” nicht für notwendig hält. Ich habe darüber bereits schon die eine oder andere Diskussion mit ihm geführt, da ich in dieser Beziehung gänzlich anderer Meinung bin.

Wie bereits erwähnt ist Thiago (unser Boss und Leiter der Entwicklungsabteilung) ein absoluter Freund der “Agilen Softwareentwicklung”. Daher setzen wir auf verschiedene agile Methoden wie “eXtreme Programming” und “Scrum”. Allerdings muss gesagt werden, dass die “korrekte Anwendung” dieser Methoden noch ein wenig zu wünschen übrig lässt und die Entwicklung leider sehr oft nach der Methode “Draufloshacken” von statten geht. Manchmal kommt es mir so vor, als ob diese alte und für die professionelle Softwareentwicklung gänzlich untaugliche Methode unter dem Banner der Anwendung agiler Methoden gerechtfertig wird. Wenn ich mich z.B. an die Theorie des “eXtreme Programming” erinnere und mir die Liste der “Dos” und “Don’ts” vor Augen führe, so erkenne ich von beiden Seiten Elemente in unserer täglichen Arbeit wieder ;-). Immerhin setzen wir aber für unser Hauptprojekt Sigilowin bereits recht erfolgreich DUnit für Integrationstests ein. Trotzdem hapert es auch hier ein wenig an der parallelen Entwicklung der Tests (was die agilen Methoden ja vorschreiben), so dass nur die aller wesentlichsten Business Rules und DB-Constraints abgedeckt sind.

Ein Teil von Thiagos Traum der Anwendung agiler Methoden ist das “funktionale Testen”. Deshalb hat Zarko, mein Kollege aus Slowenien, bereits kurz nach unserem Arbeitsbeginn damit begonnen, das dritte größere Projekt “Módula Functional Test”, das von unserem Vor-Vorgänger Daniel aus Deutschland begonnen wurde, fortzusetzen. Dieses Tool ist vorerst nur für den internen Gebrauch gedacht und kann User-Aktionen (Keyboard-Inputs, Maus-Bewegungen, Klicks, etc.) aufzeichnen, um diese später abzuspielen. Kritische Funktionen sollen entweder von uns oder von den Mitarbeitern des Support-Bereichs der Firma aufgezeichnet werden und immer wieder abgespielt werden, um die korrekte Funktion unserer Projekte nach Veränderungen ständig sicher zu stellen.

Theoretisch klingt das alles faszinierend. Wenn man allerdings die Probleme beachtet, die Zarko bei der Weiterentwicklung des Tools hatte, stellt sich bald die Frage, ob Aufand und Nutzen hier in einer verträglichen Relation zueinander liegen. Oft gab es Probleme mit der Fernsteuerung des Zielprogramms, da z.B. bestimmte Tasten (Num-Pad) nicht die erwarteten Events freisetzten oder das Abfangen und Wiedergeben von Windows-Nachrichten einfach zu komplex war. Als ich das Projekt zum ersten Mal produktiv einsetzen wollte, funktionierten bereits zentrale Teile davon nicht, so dass ich meine Tests bisher nicht erfolgreich aufzeichnen konnte und Zarko erstmal mit der Beseitigung dieser Probleme beauftragt wurde. Ich persönlich bezweifle, ob das Tool jemals wirklich so funktionieren und im produktiven Betrieb eingesetzt wird, wie es sich Thiago vorstellt.

Nach Michals Abreise bekam ich bald mein erste größere Aufgabe zugewiesen. Ich sollte ein altes Formular zur Verwaltung von Produkten einer Firma wieder Sigilowin integrieren. Das Formular war bereits zu einem früheren Zeitpunkt entwickelt, dann aber nicht weiter gewartet worden, so dass ich zunächst in die Tiefen der Formulare des Projekts eintauchen musste. Da Thiago sehr gerne – und zugegeben sehr erfolgreich – Gebrauch von der Objektorientierung macht, besitzen die meisten der Formulare in diesem Projekt mehreren Vererbungs-Ebenen. Das machte es aufgrund der sehr spärlichen Dokumentation und meines fehlenden Wissens über die Details des Systems anfangs ein wenig schwierig für mich, die richtigen Ansatzstellen für die Reintegration des Produkt-Formulars zu finden. Aber nach einigen Stunden Suchen und Debuggen hatte ich das Formular schließlich erfolgreich integriert und hatte natürlich einiges über die Struktur des Projekts Sigilowin gelernt.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, neben den textuellen Daten auch die Eingabe von Bildern von Produkten und Personen und deren Speicherung in der Datenbank zu ermöglichen. Das war interessant für mich, da ich bisher praktisch noch nicht mit größeren Datenbank-Systemen gearbeitet hatte und so einiges an Wissen über deren Funktionsweise sammeln konnte (Blobfields, Datentypen, etc…).

Nach diesem “Task” entwickelte ich ein kleines Zusatzformular für Sigilowin, mit dem Administratoren des System direkt über SQL-Befehle auf die Datenbank zugreifen konnten. Das interessante daran war, wie direkte SQL-Befehle durch unseren Server zur Datenbank weitergeleitet wurden und ich sammelte dabei einige Erfahrung über die Funktionsweise unserer Schnittstelle DataEntity.

Eine weitere große Aufgabe für mich war die Entwicklung einer Methode, mit der der Status quo von Sigilowin für jeden User bei dessen Logout gesichert und beim Login wiederhergestellt werden konnte. Es sollten die geöffneten MDI-Fenster, deren Position und Größe und weitere Daten der Umgebung für jeden User in der Datenbank gesichert werden. Nachdem ich ein Design entwickelt hatte und dieses mit Thiago besprach, stellte sich heraus, dass er es sich ein wenig anders vorgestellt hatte. Zunächst konnte ich mich mit seiner Variante absolut nicht anfreunden, was mir die Entwicklung erheblich erschwerte. Außerdem hatte ich mit ein paar Unzulänglichkeiten des Event-Systems von Windows zu kämpfen, da mir ein AfterShow-Event für Formulare fehlte. Schließlich war aber auch diese Aufgabe gemeistert, bei der ich einige interessante Aspekte über eben dieses Event-System gelernt hatte.

Da wir sehr intensiv Delphi Komponenten von Dritten verwenden, müssen wir diese natürlich immer auf dem aktuellen Stand halten. Hierfür haben wir ein ausgeklügeltes Build-System, das mit “want”, einem Delphi-Port von “Java Ant” arbeitet. Durch das Update und die Integration einiger weiterer Komponenten in dieses Build-System lernte ich viel über dessen Funktionsweise und bin inzwischen wohl der “want”-Profi in der Entwicklungsabteilung. Keiner hat so viel Wissen über die Internas und Möglichkeiten dieses Delphi-Ports wie ich und wenn es darum geht, neue Projekte oder Komponenten ins Build-System einzubinden, bin in der Regel ich dafür zuständig.

Die Arbeit an diesem Build-System ist für mich als Linux-Freak (jaja, Textfiles als Konfigurationsdateien sind halt meine Welt *g*) ganz interessant und ich verbesserte unser Build-System auch an der einen oder anderen Stelle und veränderte es vor allem für die Erzeugung von Releases nach den Wünschen von Thiago.

Schließlich war der Punkt erreicht, an dem ich nur noch kleinere Aufgaben zugewiesen bekam, die sich vor allem um das Fixen von Bugs drehten. Das war wohl vor allem deshalb notwendig, da plötzlich ein Release von DataEntity und Sigilowin (für AIESEC) vor der Tür stand. Leider sind wir Trainees sehr wenig in die Projektplanung eingebunden, die im Wesentlichen Thiago erledigt. Deshalb erfuhren wir in beiden Fällen auch erst sehr kurzfristig von den anstehenden Release-Terminen und natürlich kam dann ganz schön Hektik auf. Das Schlimmste für mich war, dass dauernd noch Veränderungen an der Schnittstelle DataEntity oder am Hauptprojekt vorgenommen wurden, während ich bereits damit beschäftigt war, die finale Release-Version zu erzeugen. Mehrfach checkte ich ein “finales Release” in SVN ein, das dann wieder Veränderungen erfuhr und somit über den Haufen geworfen wurde. Die Vereinbarung von Codefreeze-Terminen vor Releases wäre hier dringend notwendig!!!

Zwischen den beiden Releases verbrachte ich etwa drei Wochen mit dem Fixen von Bugs, der Umstrukturierung von Verzeichnissen in unserem SVN-Code-Repository und anderen recht undankbaren Aufgaben. In dieser Zeit hing mir die Arbeit regelrecht zum Hals raus und die Stunden und Tage wollten einfach nicht vorbei gehen. Zusätzlich war Thiago in dieser Zeit sehr beschäftigt und für Fragen praktisch nicht zugänglich, was die Situation weiter verschärfte. Oft wusste ich noch nicht einmal, was von mir erwartet wurde und konnte daher auch nicht wirklich auf ein Ziel zuarbeiten. Auch wenn ich bereits vorher solche Zeiten erlebt hatte, waren diese Wochen doch die bisher schlimmsten während meines Praktikums.

Nachdem das Release von Sigilowin für AIESEC mit mehrtägiger Verspätung endlich fertig war, ließ ich Thiago deutlich wissen, dass ich mir interessantere Aufgaben wünschte. Und ich glaube er hat auch sehr gut verstanden, dass ich während der letzten Wochen nicht besonders zufrieden mit meiner Arbeit war. Schließlich bekam ich endlich mein vollkommen eigenes Projekt, das ich nun von Grund auf selbst entwickle. Bereits zu Beginn meines Praktikums habe ich einen Übergang von unseren textbasierten ToDo-Listen zu einem System wie Bugzilla vorgeschlagen. Inzwischen habe ich erfahren, dass Thiago bereits für frühere Projekte (u.a. MODPosto) aus den Methoden “eXtreme Programming” und “Scrum” eine Art eigene agile Methode für die Softwareentwicklung generiert hat. Also suchten wir zunächst nach einer fertigen Software, die die Verwaltung von Features, Bugs und Activities im Rahmen dieser Methode ermöglicht. Natürlich gibt es jede Menge Tools und Web-basierte Anwendungen wie Bugzilla, aber kein System setzt erfolgreich agile Methoden um oder – wenn doch – begrenzt den Anwender auf eine bestimmte davon (z.B. “eXtreme Programming”). Schließlich entschieden wir uns, ein eigenes Tool dafür zu entwickeln und das ist jetzt meine neue Aufgabe.

Das Tool wird ebenfalls in Client-/Sever-Architektur entwickelt und arbeitet wie MODPosto auch im 2-Tier-Modus mit SQLite3. Bei der Entwicklung soll die von Thiago entwickelte agile Methode bereits zum Einsatz kommen, was für mich eine sehr große Lernerfahrung im Bereich der praktischen Umsetzung von (Uni-)Theorien ist. Mit diesem neuen Projekt macht die Arbeit nun wieder richtig Spass und die Zeit fliegt nur so vorbei. An manchen Tagen kommt es mir so vor als sei ich nur wenige Stunden bei der Arbeit gewesen, da ich die ganze Zeit über voll konzentriert beschäftigt bin. Da die Fertigstellung meines Projekts allerdings nicht die höchste Priorität hat, bekomme ich zwischendurch auch immer wieder Bugfix-Aufgaben, die z.T. wieder langweiliger sind. So schlimm wie in den oben erwähnten 3 Wochen ist es zum Glück aber bisher nicht mehr geworden. Und ich hoffe, dass das die letzten 10 Arbeitswochen so bleibt!!!

Fortsetzung folgt später…