Auf den Spuren der Jesuiten…

Nachdem ich inzwischen bereits mehrfach nach einem Bericht über meinen letzten Ausflug gefragt wurde, habe ich ihn nun endlich fertig gestellt. Wie immer in voller Pracht und Länge, damit zu Hause auch so richtig schön Neid über meine schönen Ausflüge aufkommt ;-)…

Da der erste Mai auch hier in Brasilien ein Feiertag war und dieses Jahr auf einen Dienstag fiel, habe ich das verlängerte Wochenende natürlich wieder mal für eine Tour genutzt. Dieses Mal ging es in das etwa 700 km entferne Santo Ângelo in Rio Grande do Sul. Mein Kollege Zarko wollte mich nicht begleiten und so brach ich am Donnerstag (26.04.) direkt nach der Arbeit auf. Die Busfahrt nahm mit etwa 14 Stunden die ganze Nacht in Anspruch, die ich jedoch größten Teils verschlief. Im Vergleich zu unserer letzten Busfahrt von Porto Alegre zurück nach Floripa in der Leito-Klasse war es diesmal hinsichtlich des Komforts ein deutlicher Rückschritt ;-). Während meiner großen Reise im Juli/August sollte ich wohl nicht allzu oft im Leito reisen, da man sich bekanntlich schnell an Komfort gewöhnt und dann nicht mehr mit den bereits ausreichend komfortablen Executivos zufrieden ist…

Nachdem ich fast die ganze Fahrt verschlafen hatte (da es ja Nacht war hätte man sowieso nichts gesehen), bekam ich auf der letzten Etappe von Ijuí nach Santo Ângelo noch ein wenig etwas von der Landschaft mit. Wir fuhren durch vollkomen ländliches (Gaúcho-)Gebiet, das sehr ähnlich wirkte wie unser Allgäu – nur deutlich flacher. Santo Ângelo erreichten wir schließlich am Freitag gegen 9:30 Uhr und da ich dieses Mal keinerlei Reservierungen gemacht hatte, schaute ich mich zu allererst nach einer Bleibe für die nächste Nacht um. Nach ein wenig Herumfragen hatte ich auch schnell ein Hotel direkt hinter der Rodoviária gefunden, das zwar sicherlich nicht das beste der Stadt war, mit 30 R$ pro Nacht preislich aber vollkommen im Rahmen lag. Und für eine oder zwei Nächte stellte ich sowieso keine großen Ansprüche.

Nachdem ich eingecheckt hatte und mich nach einer Dusche wieder wie ein neuer Mensch fühlte, machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Zunächst wollte ich in einem Tourismus-Büro weitere Infos über die Sehenswürdigkeiten der Stadt einholen. Mein Reiseführer führte zwar ein paar interessante Plätze und Gebäude auf, Details dazu bot er allerdings nur wenige. Ich hatte mir bisher nur vorgenommen, am nächsten oder übernächten Tag nach São Miguel – der heutigen “Hauptstadt” der Ruinen (s.u.) – weiterzufahren, hatte darüber hinaus aber noch keine weiteren Pläne geschmiedet. Die Suche nach einer Informationsquelle gestaltete sich aufwändiger als gedacht, da sich das Tourismus-Büro schlicht und einfach nicht (mehr) an der in der Karte eingezeichneten Stelle befand und die Einheimischen ebenfalls nicht so recht wussten, wo ich so etwas finden könnte. Nach einiger Zeit und einigen Kilometern Fußmarsch quer durch die Stadt wurde ich aber im “Centro da Cultura Missioneira” fündig und bekam auch einige interessante Informationen über São Miguel und Santo Ângelo selbst. Diese ging ich dann erstmal bei einem kleinen Frühstück durch und fing an ein paar Pläne zu machen.

Santo Ângelo liegt im Nordwesten von Rio Grande do Sul etwa 700 km von Florianópolis entfernt. Das Gebiet ist unter dem Namen “Missões Jesuíticas dos Guaranis” bekannt und beherbert die “Sete Povos das Missões”, sieben Orte, an denen die Jesuiten zwischen 1609 und 1773 sogenannte Reduktionen zur Missionierung der Ureinwohner (der Guarani) errichteten. Weitere Reduktionen lagen im heutigen Paraguay und in der argentinischen Provinz Misiones, wobei das Gebiet der “Sete Povos das Missões” bis 1750 ebenfalls unter spanischer Herrschaft stand. In den Reduktionen verwirklichten die Jesuiten ein erstaunliches Sozialexperiment, indem sie dort über 150 Jahre in Frieden mit den Guarani zusammen lebten. Immer wieder hatten sie allerdings mit Angriffen der Bandeirantes zu kämpfen (Bandenmitglieder portugiesischer Expeditionstrupps), die von São Paulo aus nach Westen vordrangen und das Einflussgebiet Portugals gegen die spanische Konkurrenz möglichst weit nach Westen vergrößern sollten. Mit dem Vertrag, mit dem 1750 das Gebiet der “Sete Povos das Missões” Portugal zugesprochen wurde, sollten auch 30.000 Guarani umgesiedelt werden. Als diese sich weigerten kam es 1754 zum Guarani-Kreig, den 1756 ein spanisch-portugiesisches Heer in der Schlacht von Caibaté beendete. 1773 schloss sich Papst Clemens XIV dem bereits 1767 vom spanischen König Karl III erlassenen Verbot des Jesuiten-Ordens an und läutete damit das Ende des Jesuiten-Ordens in seiner bisherigen Form ein. Das Schicksal der Guarani wurde schließlich mit dem Paraguay-Krieg 1864 bis 1870 gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay besiegelt.

Heute können alle 7 ehemaligen Reduktionsorte der “Sete Povos das Missões” besichtigt werden, an denen überall mehr oder weniger gut erhaltene Ruinen zu sehen sind. Da die Orte jedoch recht weit auseinander liegen (größe Entfernung über 200 km) und ich kein Auto zur Verfügung hatte, hatte ich mich entschieden, nur Santo Ângelo (die ehemalige Hauptstadt) und São Miguel mit den am besten erhaltenen Ruinen zu besuchen.

Nach dem Frühstück machte ich mich auf, die Sehenswürdigkeiten von Santo Ângelo zu besichtigen. Da war zum einen der alte Bahnhof, in dem heute zwei kleine Museen untergebracht sind. Das eine mit ein paar alten Geräten aus der Blütezeit der brasilianischen Eisenbahnen und das andere mit Gegenständen, Fotografien, Karten und Dokumenten rund um den Revolutionsführer Luiz Carlos Prestes, der von 1922 bis 1927 mit 1500 Mann einen unglaublichen Marathonmarsch von über 25.000 Kilometern von Rio Grande do Sul bis weit in den Nordosten Brasiliens unternommen hatte. Wie die meisten brasilianischen Museen bisher waren diese beiden ebenfalls nichts wirklich besonderes.

Anschließend wollte ich die in meinem Reiseführer als sehenswert bezeichnete Jesuiten-Kathedrale besichtigen. Sie ist ein Nachbau der Kathedrale von São Miguel und wirkte zu meinem großen Erstaunen wie praktisch gerade erst neu gebaut. Der gesamte Platz vor der Kathedrale war noch (oder wieder) eine Baustelle und eine so “neue” Kirche in “altem Stil” hatte ich bisher noch nicht gesehen. Für uns Europäer mit unseren hunderten von Jahren alten Kirchen und Gebäuden ist es eben manchmal schwer nachvollziehbar, wie “jung” die “alten Gebäude” in den ehemaligen Kolonialstaaten wie Brasilien sind. Wegen der laufenden Bau- bzw. Renovierungsarbeiten konnte man die Kathedrale leider nicht von innen besichtigen, was mich wegen der angeblich beeindruckenden Holzschnitzerei guaranischer Künstler sehr interessiert hätte. Aber immerhin konnte ich einige sehr schöne Fotos der Kathedrale selbst machen!

Wegen Umbauarbeiten an den Wasserbecken auf der Praça fehlten leider auch die in meinem Reiseführer angekündigten Kaimane und nach einem kurzen Mittagessen stelle ich dann fest, dass auch das “Museu Municipal Doutor José Olavo Machado” wegen Renovierung geschlossen hatte. Die Möglichkeiten, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen schienen also sehr eingeschränkt zu sein. Daher zog ich weiter zu einem Monument, das von Oscar Niemeyer entworfen wurde. Der Marsch dorthin, der sich länger hinzog als ich gedacht hatte, war das “Kunstwerk” aber kaum wert. Dafür bin ich aber noch in anderen Teilen der Stadt gewesen, in die ich ansonsten wohl kaum gekommen wäre.

Insgesamt bot Santo Ângelo weniger als ich aufgrund der Angaben in meinem Reiseführer und auf verschiedenen Webseiten angenommen hatte und deshalb entschloss ich mich, gleich am nächsten Morgen nach São Miguel weiter zu fahren.

Zum Abendessen kehrte ich noch in ein einfaches Restaurant ein und erlebte auf dem Rückweg zu meinem Hotel dann eine Premiere: Ich fror zum ersten Mal seit ich im November letzten Jahres in Brasilien angekommen war. Ein Kollege bei Módula hatte mich bereits vorgewarnt, dass es in Rio Grande do Sul bereits zu dieser Jahreszeit empfindlich kühl sein kann. Diese Warnungen hatte ich aber weitestgehend als übertrieben in den Wind geschlagen und deshalb nur eine dünne Jacke dabei. Jedenfalls freute ich mich riesig auf mein Bett im Hotel, in das ich mich dann auch gleich nach meiner Ankunft tief vergrub. Vielleicht war ich einfach nichts mehr gewohnt, jedenfalls war es für meinen Geschmack wirklich viel zu kalt.

Am nächsten Morgen ging es um 10:00 Uhr weiter nach São Miguel, das wir nach etwa 1,5 Stunden Busfahrt erreichten. Die Ortschaft wirkte bereits bei unserer Ankunft ziemlich verlassen und verschlafen, was sich auch während des ganzen Wochenendes nicht groß veränderte. Ich suchte zunächst die Jugendherberge auf, die ich von Santo Ângelo aus kontaktiert hatte und machte mich anschließend auf den Weg, um ein wenig die Ortschaft zu erkunden. Der Zutritt zu den Ruinen war erst wieder am Nachmittag möglich, so dass ich dafür genug Zeit hatte. Viel zu sehen gab es hier allerdings auch nicht, wobei die Ortschaft an sich mir ihrer ländlichen Umgebung einfach irgendwie idyllisch wirkte. Nicht, dass ich dort allerdings leben wollte – das wäre ja noch weiter in der Pampa als in meiner Heimat auf der Alb ;-)…

Nach einem Mittagessen besichtigte ich dann die Redunktions-Ruinen, die wirklich beeindruckend wirkten und aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung sehr interessant waren. In der alten Sakristei wurde mir zusammen mit ein paar anderen Besuchern ein Film über ihre Errichtung, Blütezeit und ihren Niedergang gezeigt, der allerdings leider nur in portugiesisch vertont war, so dass ich bei weitem nicht alles verstand. Anschließend besichtigte ich noch das kleine Museum, das vor allem religiöse Kunstwerke der Guarani ausstellte und kehrte dann zur Jugendherberge zurück. Bis zur Sound-und-Licht-Veranstaltung “Som e Luz” am Abend brachte ich noch ein paar Stunden mit relaxen zu und unterhielt mich bei Chimarrão mit zwei anderen Gästen, die ebenfalls auf Tour durch die Missionsorte waren.

Die Veranstaltung “Som e Luz” war wirklich gut gemacht und inhaltlich sicherlich auch sehr interessant, wobei ich auch hier nur einen Bruchteil der Erzählungen verstand. Mein Portugiesisch reichte für den Dialekt einfach nicht aus und die Tonqualität war zu schlecht. Trotzdem war es eine lohnenswerte Show, die ich eben hauptsächlich visuell erlebte ;-)… Allerdings war ich dann auch froh als die Show vorbei war und ich zurück in der Jugendherberge war – es war nämlich wieder bärig-kalt!!!

Damit hatte ich eigentlich alles gesehen, was es in São Miguel zu sehen gab und aus diesem Grund hatte ich mich für Sonntag auf einer nahe gelegenen Fazenda (= Farm) angemeldet. Dort konnte man laut der Infos vom Tourismus-Büro “Turismo rural” (also Tourismus auf dem Lande) erleben. Am Sonntag Morgen machte ich mich also auf den Weg dorthin und wurde gleich herzlich empfangen. Zusammen mit dem Sohn des Fazenda-Besitzers unternahmen ich dann erstmal einen kleinen Ausritt (ja so richtig zu Pferd *g*), wobei in meinem Fall die Frage gerechtfertigt war, wer die Richtung bestimmte: Ich oder das Pferd ;-)… Aber ich wurde besser und nach ein paar Minuten hatte ich gewisse Drehs raus, die mich zumindest einigermaßen in die Lage versetzten, Richtung und Geschwindigkeit zu bestimmen. Trotzdem beschleunigte mein Pferd dauernd, wenn es in Richtung Stall ging und blieb stehen, wenn wir uns davon abwandten. Trotzdem machte es sehr viel Spass und ich genoss dieses kleine Abenteuer…

Als wir nach einiger Zeit zur Fazenda zurück kehrten, hatten einige Kühe Reißaus genommen und so hatte ich die Gelegenheit, mich als Cowboy (oder besser als Gaúcho) zu versuchen (siehe Fotos). Auch das scheiterte zwar ein wenig an meinen sehr eingeschränkten Reitkünsten, trotzdem schafften wir es aber, die Kühe zurück auf die Weide zu treiben und beendeten unseren Ausritt ohne Zwischenfälle.

Anschließend spielte ich eine Weile mit den drei Hunden, was mich unseren Allan sehr vermissen ließ, und genoss echten Chimarrão. Zum Mittagessen waren zwei weitere Gäste eingetroffen und es gab natürlich ein richtiges Gaúcho-Churrasco mit Live-Musik. Ich hielt mich nach dem Essen noch eine Weile auf der Fazenda auf und machte mich dann auf den Rückweg zur Jugendherberge.

Dort angekommen hatte ich erstmal mit meinen vom Ausritt ziemlich dreckigen Kleidern zu kämpfen. Da ich nicht mit so kalten Temperaturen gerechnet und deshalb nur eine lange Hose dabei hatte, musste ich diese notdürftig waschen und so schnell wie möglich trocken bekommen. Aber ich wäre nicht in Brasilien, wenn mir nicht auch dafür etwas eingefallen wäre…

Am Abend besuchte ich dann noch ein kleines Dorf-Fest, das allerdings von der ganzen Atmosphäre noch “kleinbürgerlicher” war als die alljährliche Hockete in Sonnenbühl und mich deshalb nicht lange begeistern konnte. Vor allem aufgrund der unangenehmen Temperaturen ging ich dann wie bereits am Vorabend sehr früh ins Bett und informierte mich in meinem Reiseführer über die Sehenswürdigkeiten in Rio de Janeiro, das ich Anfang Juni als nächstes besuchen werde…

Nach einer weiteren Nacht in São Miguel war es dann am Montag Morgen auch schon bald wieder Zeit für die Rückfahrt nach Santo Ângelo. Die Busverbindungen waren leider so schlecht, dass ich dort noch einen halben Tag bis zur Abfahrt meines Busses nach Florianópolis zubringen musste. Also wanderte ich noch einmal ein wenig durch die Stadt und schlug ansonsten die Zeit mit Lesen im Reiseführer tot. Gegen 18:30 Uhr verließ ich Santo Ângelo dann in Richtung Florianópolis, wo ich am nächsten Morgen gegen 9:30 Uhr ankam.

Insgesamt war es mal wieder ein sehr schöner Ausflug gewesen, wenn ich auch gerne ein Auto zur Verfügung gehabt hätte, um weitere Missionsorte besuchen und so die Zeit besser nutzen zu können. Die Entfernungen in Brasilien und die benötigte Zeit für deren Bewältigung sind für uns Europäer eben immer wieder leicht zu unterschätzende Faktoren in der Reiseplanung…