Tag 9: Ottawa

Heute müssen wir zeitig aufstehen, weil wir die “Change of the guard” vor dem Parlamentsgebäude sehen wollen. Nach dem Frühstück müssen wir aber erst noch einen kostenlosen Abstellplatz für unseren RV beim “Campingplatz-Opa” raushauen, was uns auch erstaunlich problemlos gelingt. Dann machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Vor der Einfahrt zum Campingplatz steht ein Taxi, dessen Fahrer sofort angelaufen kommt als wir auch nur kurz zögern. Da mein Vater der Meinung ist, dass es mit dem Bus eng würde, um rechtzeitig am Parlamentsgebäude zu sein, fahren wir einmal mehr mit dem Taxi in die Stadt.

Dort angekommen gehen wir auf direktem Weg zum Parlamentsgebäude, wo auch schon einige Leute herumstehen und auf die Show warten. In der Zwischenzeit organisiere ich noch eine Tour durch das zentrale Gebäude der Anlage und dann warten wir auf die Ankunft der Soldaten. Vor der Absperrung füllt es sich nach und nach mit Touristen und nach einiger Zeit beginnt die Parade mit dem Einzug der Soldaten. Das ganze Spektakel ist das frühe Aufstehen auf jeden Fall wert. Während der ca. 20 minütigen Parade werden symbolisch die Waffen der Wachablösung kontrolliert und der Schlüssel für die Waffenkammer übergeben. Außerdem wird natürlich zur kanadischen Nationalhymne salutiert. Insgesamt schon irgendwie ein ergreifendes Erlebnis, zumal mir in Deutschland ein gesunder und auch praktizierter bzw. zur Schau gestellter Nationalstolz schon irgendwie fehlt. Hier in Canada wird er eben ähnlich wie in den USA fast ein wenig zu sehr ausgelebt.

Nach der “Change of the guard” machen wir die Führung durch das Parlamentsgebäude mit. Wir dürfen Blicke in die Sitzungssääle des House of Commons und des Senats werfen und es werden viele Details zu den Skulpturen und Symbolen erklärt, die überall im Gebäude zu finden sind und jeweils eine ganz bestimmte Bedeutung haben. Besonders die Zusammenhänge zwischen den Symbolen und den historischen Hintergründen faszinieren mich. Gerade wo wir in Europa doch recht wenig über die Geschichte Canadas wissen, weil im Geschichtsunterricht eher die USA im Vordergrund stehen. Etwas schade ist das Tempo, in dem wir während der Führung durchs Gebäude gelotst werden. Man hat kaum Zeit, über das Erwähnte nachzudenken oder Fotos zu machen.

Nach der Führung können wir uns noch auf eigene Faust im Gebäude umsehen, in die Sitzungssääle kommt man allerdings nur während der Führung hinein. In der großen Halle in der Mitte des Gebäudes sind das Portrait eines Politikers und viele Flaggen mit Trauerbändern aufgestellt, sowie Kondolenzbücher ausgelegt. Als ich mir eines der Bücher näher anschaue, spricht mich ein Officer an und so erfahre ich, dass der Grund für die Trauerbeflaggung der Tod des General Gouvernor vor wenigen Tagen ist. Der General Gouvernor ist in Canada der direkte Repräsentant der Queen, die in der konstitutionellen Monarchie theoretisch immer noch das Staatsoberhaupt ist. Faktisch hat sie allerdings keinerlei politische Macht mehr, was somit auch für den General Gouvernor gilt. Trotzdem bedeutet dieser der Bevölkerung natürlich sehr viel, was ich auch daran merke, dass mir eine andere Officer beinahe mit Tränen in den Augen meine Frage nach dem genauen Todestag des General Gouvernor beantwortet.

Überhaupt ist die Bedeutung der Queen in Canada wesentlich größer als wir Außenstehenden das vermutlich für möglich halten. So wurde uns bei der Führung unter anderem erklärt, dass das Portrait von Queen Victoria mehrfach von der Bevölkerung vor Bränden gerettet wurde – unter Einsatz des eigenen Lebens. Einmal passte der Rahmen nicht durch die Tür und so wurde es von seinem Retter kurzer Hand mit einer Schere aus dem Rahmen geschnitten. Noch heute ist das an einen Schnitt im Bild und einem fehlenden Buchstaben zu erkennen.

Wir fahren noch auf den Peace Tower, der dem Londoner Big Ben täuschend ähnlich sieht. Zu allem Überfluss spielen die 53 (?) Glocken des Turms zu jeder Stunde sogar die “Westminster Chimes”. Auch hier wird also die Verbundenheit Canadas zu London erkenntlich. Von hier oben haben wir eine tolle Aussicht über die Stadt und können z.B. gut die Schleusenanlage des Rideau Channel und das Museum of Civilization erkennen.

Nach dem Tower werfen wir noch einen Blick in die Memorial Hall, in der die Namen der Soldaten aufgelistet sind, die in den Kriegen gefallen sind, an denen Canada beteiligt war. Hier halten wir uns allerdings nicht lange auf und verlassen kurz darauf das Parlamentsgebäude und Parliament Hill. Dieser Teil von Ottawa hat mir definitiv am besten gefallen, weil ich die Besichtigung von so bedeutenden Staatsgebäuden immer sehr interessant finde.

Leider ist unsere Zeit in Ottawa sehr begrenzt, da wir noch an diesem Abend in Montréal das “Feux L’international de Loto Quebec” sehen wollen, laut Lonely Planet eines der schönsten Feuerwerke der Welt. Außerdem wollen wir unsere Reise ja fortsetzen und müssen am 29. Juni Christine in Quebec City abholen. Deshalb schauen wir uns nur noch ein wenig in der Stadt um, bummeln noch einmal durch die Straßen, die uns am Vortag bei Nacht so gut gefallen hatten und laufen ein Stück in Richtung der Brücke zur Insel, auf der u.a. das Museum of Civilization liegt. Ich will das Gebäude einfach noch etwas aus der Nähe bewundern bzw. fotografieren. Auf dem Rückweg in Richtung Parliament Hill laufen wir an den Schleusen unterhalb des Hotels Chateau Laurier entlang. Dann müssen wir uns auch schon auf den Rückweg zum Campingplatz machen, für den wir wieder den Bus nehmen wollen.

Ottawa hat mir sehr gut gefallen und wir hätten gut noch einen oder zwei Tage mehr hier verbringen können. Ich war auch sicherlich nicht das letzte Mal hier.

Auf dem Campingplatz angekommen machen wir uns auch gleich wieder auf den Weg in Richtung Montréal. Die Fahrt dorthin verläuft weitestgehend ereignislos und wir erreichen die Stadt bzw. ihre Außenbezirke gegen 18:00 Uhr. Nach ein wenig Suchen finden wir auch den ausgewählten Campingplatz, der laut Campingführer per Zug an die Stadt angebunden sein sollte. Dort angekommen erfahren wir allerdings, dass die Anbindung bei weitem nicht so gut ist. Man müsste noch einige Kilometer mit dem Auto bzw. RV zur Station fahren, womit wir wieder das Problem mit dem Abstellen des RV hätten, das wir in den Städten Ottawa, Montréal und Quebec gerade vermeiden wollen. Einmal mehr bleibt uns nichts anderes übrig, als mit dem Taxi in die Stadt zu fahren, zumal wir nicht allzu viel Zeit bis zum Beginn des Feuerwerks haben.

Auf der Fahrt in die Stadt erfahren wir, dass die Brücke auf die Insel, auf der das Feuerwerk stattfindet wohl bereits gesperrt ist. Deshalb setzte uns der Taxifahrer an der U-Bahn-Station ab, von der wir auf die Insel fahren können. Dort angekommen fragen wir uns durch bis zum besten Standort für das Feuerwerk. Dabei erhalten wir allerdings mal wieder völlig widersprüchliche Auskünfte und müssen ein ganzes Stück bis laufen, bis wir auf der Brücke oberhalb des “La Ronde” Vergnügungsparks ankommen. Ein Problem beim Verstehen der Auskünfte war aber auch gewesen, dass ich “La Ronde” mit der Expo-Kugelkonstruktion verwechselt habe.

An der Brücke angekommen, frage ich noch einmal zwei Polizisten in ihrem Streifenwagen, ob man als Fußgänger auf die Brücke darf. Als Antwort bekomme ich etwas belustigt: “Yeah, we’re here for blocking the bridge for you guys!” Als ich auch noch frage, ob man von da oben eine gute Sicht auf das Feuerwerk habe, meinen sie: “Well, you have a direct sight on it from there. There’s no better place to go!” Damit haben wir alle Antworten zusammen und suchen uns auf der Brücke ein Plätzchen, um das Feuerwerk abzuwarten.

Pünktlich um 22 Uhr beginnt die Show und ich muss sagen, es ist wirklich eines der besten, die ich jemals gesehen habe. Die Show dauert 30 Minuten und bis auf ein einziges Mal gibt es keine nennenswerte Unterbrechung und ein 30 Minuten andauerndes Feuerwerk ist an sich schon beeindruckend. Dazu wurden die Raketen und Lichteffekte durchweg sehr gut ausgewählt.

Nach dem Feuerwerk machen wir uns auf den Heimweg und laufen einem Hinweis eines Polizisten nach die Brücke entlang, bis wir bei der U-Bahn-Station herauskommen, an der uns das Taxi am Abend abgesetzt hatte. Von dort fahren wir wieder mit einem Taxi zum Campingplatz. Allerdings ein wenig auf Irrwegen: Als wir dem Taxifahrer vor dem Einsteigen die Adresse des Campingplatzes zeigen, muss dieser sich erstmal von einem Kollegen den Weg erklären lassen. Unterwegs nimmt er dann eine völlig falsche Ausfahrt, hält wenig später vor einem Geschäft an und meint, er müsse sich bei der Zentrale über den Weg rückversichern. Daraufhin fängt er an, wie wild in einer Art Handbuch zu blättern, das offensichtlich Listen von Straßen enthält. Das System habe ich nicht verstanden, aber zumindest war darin keine einzige Straßenkarte oder auch nur Ausschnitte davon zu erkennen. Als mein Vater unserem Fahrer den Weg erklärt, ist dieser sichtlich erleichtert und liefert uns wenig später doch noch wohlbehalten am Campingplatz ab. Dort fallen wir müde ins Bett. Es war ein langer Tag!