San Rafael Gletscher

(Nachtrag von Freitag, 20.12.2013)

Wieder einmal heißt es heute früh aufstehen – und fast wie immer wache ich trotzdem vor dem Wecker auf. Die Betreiber meiner Hospedaje haben darauf bestanden, mir ein Frühstück zu richten und so bekomme ich sogar Rührei – das ist doch eine gebührende Entschädigung für die kalte Dusche!

Um 06:45 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Hotel Loberias del Sur, dem Treffpunkt für die Schiffstour zum San Rafael Gletscher. Während ich bei einem Kaffee auf die Abfahrt warte, lerne ich die spanisch/deutsche Familie Diaz (Jose, Bettina und Sohn Alejandro) kennen. Mit ihnen verbringe ich heute die ganze Tour – vor allem weil der 8-jährige Alejandro immer darauf besteht, dass “sein Freund Timo” dabei ist :-).

Mit dem Minibus werden wir zum Katamaran gebracht und nach einer kurzen Sicherheitseinweisung geht’s auch schon los. Kurz nach dem Ablegen gibt der Kapitän ordentlich Gas und der Katamaran beginnt mit knapp 25 Knoten den Fjord entlang zu pflügen.

Zunächst wird uns ein Frühstück serviert – mein zweites heute, so gut ging es mir auf der ganzen Reise bisher nicht ;-). Dann dürfen wir in den Aufenthaltsraum auf dem Oberdeck und auf die Outdoor-Plattform auf dem Achterdeck. Woanders könnte man sich draußen auch gar nicht halten bei dem Fahrtwind!

Ich geselle mich zu einer Gruppe, die sich von einem der Guides anhand der Seekarten ein paar Details zum Gletscher erklären lässt. Wie fast alle Gletscher dieser Welt verliert auch der San Rafael jedes Jahr an Ausdehnung. In diesem Fall sind es ca. 200 Meter pro Jahr! Solche Zahlen finde ich regelrecht schockierend! Als Segler fällt mir auf der Seekarte natürlich auch gleich die extreme Missweisung von 14 Grad auf. Außerdem bekommen wir eine kleine Geschichtsstunde zu der Festlegung der Grenze zwischen Chile und Argentinien entlang der kontinentalen Wasserscheide.

Immer wieder suche ich auch das Achterdeck zum Fotografieren auf. Die an uns vorbei ziehende Landschaft mit den steil aufragenden, bewaldeten Hängen und verschneiten Gipfeln im Hintergrund ist einfach atemberaubend!

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Natürlich frage ich, ob ich mal die Brücke sehen darf und dieser Wunsch wird uns in kleinen Gruppen später erfüllt. Der Katamaran besitzt zwei Maschinen mit je 1.600 PS Leistung, von denen jede ca. 260 Liter Diesel pro Stunde verschlingt! Ansonsten finde ich natürlich einige wohlbekannte Gerätschaften auf der Brücke: Radar, Echolot, GPS und DSC-Funkgeräte. Auch das vollständige Flaggen-Alphabet ist vorhanden – jede einzelne Flagge ordentlich verstaut in ihrem eigenen, beschrifteten Fach.

Irgendwann bekommen wir ein sehr leckeres Mittagessen serviert: Salat mit Putenbruststreifen und Parmesan, Lachsfilet mit Reis und zum Nachtisch eine Art Creme mit Ananaskompott. Man merkt eben doch, dass es sich bei diesem Ausflug heute um ein Rundum-Sorglos-Paket handelt. Aber auch wenn das in der Regel nicht meine Art zu Reisen ist, so zwischendurch ist das schon auch mal angenehm.

Unterwegs machen wir einmal eine kurze Pause, um eine Kolonie Seehunde zu beobachten. Der Kapitän fährt dazu langsam bis auf wenige zig Meter an die Felsen heran und wir können einige schöne Fotos machen. Wobei die Bewegungsfreiheit auf dem kleinen Bugdeck bei etwa 40 Passagieren natürlich ein wenig eingeschränkt ist. Auf den Galapagos Inseln haben wir die Tiere da entspannter beobachten und fotografieren können.

Schließlich erreichen wir die Einfahrt in den Nationalpark und fahren wenig später in den engen Kanal, der in die Laguna San Rafael führt. Hier, in Mitten des Nirgendwo, wo keine andere Menschenseele zu sehen ist, fühlt man sich schon irgendwie wie ein Pionier – und gleichzeitig winzig klein!

Während wir so die Fahrt genießen, tauchen sie plötzlich auf: Die ersten Eisschollen! Zunächst ganz kleine, die aber schnell größer werden. In der ansonsten grünen, ein wenig Tundra-ähnlichen Landschaft wirkt das irgendwie bizarr! Schnell tauchen immer mehr Eisschollen und auch ganze Eisberge auf, die zum Teil eine herrlich bläuliche Farbe haben. Vorsichtig tastet sich unser Kapitän durch das lose Eisfeld und in der Ferne können wir ihn sehen: Den Gletscher San Rafael, wie er majestätisch ins Meer fließt! Natürlich gibt es schon jetzt kein Halten mehr und die Frequenz des Geräuschs der Verschlüsse zahlreicher Spiegelreflexkameras erreicht einen ihrer Peaks auf dieser Tour!

In sicherer Entfernung zum Gletscher werden die Schlauchboote zu Wasser gelassen. In vier Gruppen werden wir nacheinander näher an den Gletscher herangefahren. Aus unbekannten Gründen wurde die Gruppenzuteilung im letzten Moment noch geändert. Dank des kleinen Alejandro bin ich aber trotzdem wieder zusammen mit den Diaz und jetzt sogar in der ersten Gruppe.

Wir nähern uns dem Gletscher bis auf etwa 300-400 Meter. So wurde es uns zumindest gesagt. Entfernungen lassen sich hier überhaupt nicht mehr schätzen. Auf dem Weg wird uns immer wieder die Jahreszahl gesagt, bis zu der der Gletscher noch bis zu unserer aktuellen Position reichte. Das vermittelt noch einmal ein deutliches Bild des rasanten Zurückweichens desselben.

Mehrfach können wir beobachten, wie der Gletscher kalbt, d.h. wie ein Stück Eis – oder eher ein riesiger Brocken – krachend abbricht und ins Meer stürzt. Das ist ein gleichermaßen gigantischer, wie auch trauriger Anblick, denn mit jedem dieser Momente ist ein über Jahrtausende geformtes Stück wertvollen Gletschereises unwiederbringlich verloren!

Auch das Berühren einiger umhertreibender Eisberge wird uns ermöglicht. Auch das irgendwie eine Erfahrung, die Respekt vor den Gewalten der Natur einflößt und bei der man sich winzig klein fühlt gegen die Wunder unseres Planeten!

Viel zu schnell ist die Ausfahrt wieder vorbei, aber die anderen Gruppen wollen ja auch zum Zug kommen. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, in der ersten Gruppe gewesen zu sein. Inzwischen zieht es nämlich zu und beginnt sogar zu regnen. Damit ist natürlich auch das Licht bei weitem nicht mehr so toll wie noch Minuten zuvor. Dem kleinen Alejandro gebührt also mein Dank, dass ich nach der Veränderung der Gruppenzuteilung den Gletscher so schön habe erleben dürfen!

Während die anderen Gruppen noch unterwegs sind beobachten Jose und ich den Gletscher noch eine Weile vom Katamaran aus. Wir erleben sogar noch das Abbrechen eines besonders, bestimmt annähernd hausgroßen Blocks.

Schließlich ist auch die letzte Gruppe wieder an Bord und wir treten die Rückfahrt an. Praktisch zeitgleich wird die Bar eröffnet und es gibt Drinks on the Rocks – natürlich mit echtem Gletschereis! Außerdem beginnt das Animationsprogramm mit einer Slideshow von Bildern, die während des Tages unbemerkt von uns allen gemacht wurden. Die sehr laute Musik und vor allem die anschließenden, eher peinlichen Tanzeinlagen stören mich eher, aber so gibt es eben verschiedene Typen von Reisenden. Ich bin aber zumindest nicht allein damit, denn Bettina und Jose verziehen sich mit mir aufs Unterdeck. Und weitere Passagiere folgen wenig später unserem Beispiel.

Der Kapitän hat offensichtlich echte Schwierigkeiten, einen geeigneten Weg durch die treibenden Eisschollen zu finden und fährt eine ganze Weile im Zick Zack hin und her. Vielleicht wurde auch deshalb so schnell mit dem Animationsprogramm begonnen, damit die Gäste davon nichts mitbekommen ;-).

Während der Rückfahrt relaxen wir bei dem einen oder anderen Drink von der “Open Bar” und genießen die Ausblicke auf die an uns vorbei ziehende Landschaft. Da es jetzt klarer als noch am Vormittag ist, sind diese noch gigantischer als bei der Hinfahrt. Vor allem die schneebedeckten Gipfel im Hintergrund heben sich jetzt viel besser ab.

In der Zwischenzeit ist das Animationsprogramm in vollem Gange und es wird Karaoke praktiziert. Zusammen mit Bettina und Jose halte ich mich tunlichst fern vom Oberdeck bzw. halte mich dort nur im Freien auf dem Achterdeck auf. Immerhin bekommen aber auch wir Party-Verweigerer leckere Snacks und Happen serviert und so lässt es sich eigentlich ganz gut leben ;-).

Gegen 20:30 Uhr erreichen wir schließlich den Ausgangshafen Chacabuco. Ich verabschiede mich von Jose, Bettina und Alejandro und hole mein Gepäck in der Hospedaje ab. Praktisch sofort kommt auch einer der Minibusse nach Puerto Aysén vorbei und gegen 21:20 Uhr bin ich auch schon dort…

… leider allerdings zu spät für den letzten Bus zurück nach Coyhaique! So ein Pech aber auch! Für einen Moment überlege ich, es mit Autostopp zu versuchen, aber dann beschließe ich notgedrungen hier zu übernachten. Also suche ich eine der Hospedajes auf, die ich gestern hier bemerkt hatte. Für einen recht stolzen Preis bekomme ich ein einfaches Zimmer, das soweit vollkommen in Ordnung wäre – wäre da nicht die nicht wirklich taufrische Bettwäsche :-(. Normalerweise habe ich damit wenig Probleme, aber heute stört es mich irgendwie. Also packe ich meinen Schlafsack aus und muss dabei belustigt an Sabine decken, wie sie auf unserer Reise durch Peru und Bolivien immer den “Riechtest” durchgeführt und sich danach für oder gegen ihr “Baby” (den Schlafsack) entschieden hat :-).

2 thoughts on “San Rafael Gletscher”

  1. die kalbernden Gletscher sind wuchtig. Caroline und ich haben neben einem solchen in Norwegen übernachtet in einer kleinen Blockhütte und gehört, wie die Eisbrocken abgebrochen sind mit Getöse. wir haben dann sogar in einem Gletscherwassersee gebadet, d.h. Caroline hat versprochen auch ins Wasser zu kommen, wenn ich ganz untergetaucht bin, hat es dann aber nach meinem mutigen Taucher doch lieber gelassen. es war wirklich schockierend kalt. du könntest dich auch darin duschen, anstatt eine kalte Dusche in der Herberge zu bezahlen.

  2. Hallo Timo,
    beim Lesen dieses Berichts verspürte ich doch gewaltig Neid bzw. den Wunsch so eine Gletscherwelt möchte ich auch mal sehen und aber auch Freuden-Pipi in den Augen darüber, welch supertolle Erlebnisse du genießen kannst!!! Gratulation!
    Hoffentlich kommst du heute geschickt weiter!
    Ganz liebe Grüße und weiterhin gute, gute Reise
    deine Mum

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