Gegen 8:00 Uhr erreichten wir Salvador und nachdem ich aufgewacht war, bekam ich während der Fahrt durch die Randbezirke der Stadt den typischen Eindruck einer brasilianischen Metropole: Kilometerlang fuhren wir an einer Favela nach der anderen vorbei – oder besser: zuckelten wir vorbei, da wir auf dem letzten Stück zur Rodoviaria noch in einen ganz schönen Stau gerieten.
Nachdem wir in der Rodoviaria angekommen waren, uns etwas frisch gemacht, ein kleines Frühstück genossen und uns orientiert hatten, fuhren wir mit einem komfortablen Minibus ins historische Zentrum der Stadt, wo die Jugendherberge lag, die uns von den beiden Belgiern empfohlen worden war, die wir in Recife getroffen hatten. Dort angekommen konnten wir auch gleich einchecken und erstmal unter die Dusche springen. Gleich beim Check-In wurde uns ein Besuch einer Candomblé-Zeremonie angeboten. Da ich davon bereits in meinen Reiseführern gelesen hatte, entschied ich mich spontan dazu und Zarko zog mit.
Bis wir am Abend vom Tour-Anbieter abgeholt wurden, gingen wir erstmal noch etwas essen, was wegen der durchfahrenen Nacht im Bus alles von Frühstück über Mittagessen bis Abendessen hätte sein können.
Mit dem Minibus ging es von etwa 18:30 Uhr an nach einigen organisatorischen Startschwierigkeiten dann erstmal über eine Stunde quer durch die Stadt in Richtung Flughafen, in dessen Nähe sich das Gelände befand, auf dem die Zeremonie stattfand. Candomblé ist eine aus Afrika stammende und von den Sklaven nach Brasilien gebrachte Religion, die in ihrer heutigen Form aber erst in Brasilien entstanden ist. Wegen der Verbote ihrer Besitzer, ihre eigene Kultur und Religion zu leben und zu pflegen mussten sich die Sklaven verschiedene Tricks einfallen lassen, um ihre Religion und Zeremonien zu tarnen. Das führte zu einer Vermischung christlicher Symbole mit jenen des Candomblé. Heute ist es eine Religion wie jede andere in Brasilien und es gibt sogar Brasilianer, die zugleich gläubige Katholiken und Candomblé-Anhänger sind.
Aufgrund der organisatorischen Schwierigkeiten kam unsere Gruppe früher als unser Guide auf dem Gelände an und da keiner so recht wusste, “was, weshalb, warum” standen wir erstmal eine Weile in der Gruppe herum und bewunderten die bereits kostümierten Frauen.
Plötzlich begann sich dann ein Zug zu formieren, der mit Musik begleitet einmal um das Hauptgebäude zog. Wider besseren Wissens- unser Guide war immer noch nicht eingetroffen – liefen wir zusammen mit allen anderen Zuschauern am Ende des Zuges mit. Auf halbem Weg setzte ohrenbetäubendes Feuerwerk ein, von dem schwer zu sagen war, ob es Teil der Zeremonie war oder nicht.
Nach einer Runde ums Haus ging’s schließlich in dieses hinein, wo alles bereits für die Zeremonie vorbereitet war: In einem Kreis formierten sich die Zeremonie-Teilnehmer in dessen Mitte eine Art Gestellt aufgebahrt war, von dem ich nicht genau wusste, wozu es diente. Wir Zuschauer wurden nach Geschlechtern getrennt auf die Zuschauerbänke verteilt. Da ich in meinem Reiseführer bereits davon gelesen hatte, verwunderte mich das nicht weiter. Die Kleiderordnung, die ebenfalls dort beschrieben gewesen war, schien jedoch nicht so streng gehandhabt zu werden. Im Hostel hatte man uns gesagt, kein Schwarz zu tragen. Ich hatte gelesen, dass auch diverse andere Farben tabu waren, was in diesem Fall jedoch nicht zu zutreffen schien. Da Fotografieren wohl aber nur auf Anfrage erlaubt war und unser Guide bis zum Beginn der Zeremonie noch nicht eingetroffen war, so dass ich ihn nicht fragen konnte, verzichtete ich lieber darauf. Es gibt also von dem ganzen Abend keine Fotos, sondern “nur” meine Erinnerung.
Die eigentliche Zeremonie begann damit, dass die Frauen nach und nach (z.T. in kleineren Gruppen) vor dem Gestell in der Mitte des Kreises niederknieten bzw. sich hinlegten und Geld davor ablegten. Zum Teil sah das sehr kurios aus, da die weiten Rücke die Bewegungen sichtlich behinderten. Jede einzelne Opfergabe wurde von den anderen Teilnehmern mit Gesang begleitet. Nachdem diese Runde beendet war wurden die Zuschauer aufgefordert, selbst Opfer zu bringen – aber völlig freiwillig, nur wer wollte. Überhaupt gefiel mir schon zu diesem Zeitpunkt die offensichtliche Ungezwungenheit, in der alles stattfand. Die späteren Erklärung unseres Guides auf der Rückfahrt sollten diesen Eindruck der Candomblé-Religion bestätigen.
Nachdem die Opferrunde abgeschlossen war, begann das was sich die nächsten Stunden immer wieder wiederholen sollte: Die Candomblé-Teilnehmer tanzten begleitet von Trommeln singend im Kreis und immer wieder verfiel einer von ihnen in diesen Trance-Zustand, von dem ich nur schwer sagen konnte, ob er echt oder vorgetäuscht war. In meinen Reiseführern hatte ich gelesen, dass genau dieser Zweifel an der Echtheit der Trance Außenstehenden den richtigen Zugang zur Zeremonie verwehren kann.
Die ganze Zeit über erwartete ich eine gewisse Steigerung, aber auch wenn die Rhythmen schneller und intensiver wurden blieb es bei diesen kurzen Trance-Szenen. Ein Teilnehmer in diesem Zustand wankte innerhalb des Kreises fast wie betrunken, verdrehte die Augen und zitterte am ganzen Körper. Andere Teilnehmer unterstützten ihn dann und legten ihm u.a. auch andere Kleidungsstücke an. Der Grad an Koordination, den die Teilnehmer im Trance-Zustand aber immer noch hatten, ließ mich weiter an deren Echtheit zweifeln.
Dieser Teil der Zeremonie setzte sich eine ganze Weile fort, bis ein Großteil der Teilnehmer das Gebäude verließ. In der Pause wurde uns Zuschauern etwas zu essen serviert. Zum einen eine körnige Masse, die mich an CuzCuz erinnerte und zum anderen Teller mit einem Hähnchenschenkel, Reis und einem Gemüse, das wie Spinat aussah, wohl aber etwas anderes war. Ich versuchte allerdings nur ersteres, da mich letzteres rein optisch nicht so sehr anmachte.
Die Pause wurde durch das Auftauchen der Candomblé-Teilnehmer beendet. Sie waren nun noch krasser geschmückt und die wesentlichen Personen trugen Kostüme völlig unterschiedlicher Art. Später erfuhren wir, dass sie die Orixás darstellten.
Die Zeremonie selbst ging im Prinzip weiter wie bereits zuvor: Wieder Tanzen im Kreis und zwischendurch die fragwürdigen Trance-Zustände, die diesmal meist von innigen Umarmungen anderer Teilnehmer begleitet wurden. Zwischendurch “verirrten” sich zwei Teilnehmer in Trance in den Zuschauerbereich. Wieder ließ mich ihre Fähigkeit, zielstrebig den Weg zwischen den Zuschauerbänken zu finden an der Echtheit der Trance-Zustände zweifeln. Einer als ein Oxalá verkleideter Teilnehmer kam uns sehr nahe und die Art wie er die Augen verdrehte hatte schon etwas seltsames. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass die Teilnehmer zusätzlich zur Musik evtl. auch unter Einfluss irgendwelcher schwachen Drogen standen. Bestätigungen dafür gab es während der Erklärungen auf der Rückfahrt jedoch nicht.
Das ganze Spektakel ging noch eine Weile so weiter und endete dann ziemlich abrupt mit unserem Abzug. Ein paar Teilnehmer hatten das Haus schon verlassen, andere tanzten bei inzwischen nicht mehr ganz so intensiven Trommelrhythmen noch als unser Guide zum Rückzug pfiff. Vor dem Gebäude standen wir in kleinen Gruppen noch eine Weile zusammen und unterhielten uns über das Erlebnis. Schließlich gings im Auto zurück, wo unser Guide die eigentlich für vor der Zeremonie geplante Erklärung zunächst in Englisch und anschließend in Spanisch vortrug. Alles in allem hatte ich während der Zeremonie zwar dauernd das Gefühl gehabt, dass das ja noch nicht alles gewesen sein konnte und auf eine Steigerung gewartet. Mit der Erklärung wurde vieles aber einleuchtender und im Nachhinein dadurch interessanter. Ich war jedenfalls sehr zufrieden mit dem Abend und froh, diesen wesentlichen Bestandteil afro-brasilianischer Kultur miterlebt zu haben.